7. Transport in die Heimat

von Werner

Als die drei Wochen vergangen waren, hieß es, dass wir im Lager bleiben müssten, weil wir nach Hause dürften. Vor dem Lager wurden Verkaufsstände aufgestellt. Es gab allerhand zu kaufen. Seit Anfang 1948 bekam jeder, der gearbeitet hatte etwas Geld. Jeder Rubel wurde bei dieser Gelegenheit ausgegeben.

Jedem Kriegsgefangenen wurden 450 Rubel für Lager, Unterhalt, Heizkosten, Kleidung, Lebensmittel für die Wachmannschaft und für die Arbeitsunfähigen abgezogen. Wenn die Kosten gedeckt waren, wurde der Rest nach Prozenten, zwischen 50 und 500 Rubel an die Brigaden ausbezahlt. Vor meinem Arbeitsunfall, als ich noch voll arbeitsfähig war, bekam ich rund 300 Rubel monatlich ausbezahlt. Mit dem Geld konnte man sich in der Kantine etwas zu essen oder zu rauchen kaufen. Ich hatte mit Landsleuten aus meinem Heimatgebiet, die nichts verdient hatten geteilt.

Unsere Freude war sehr groß, endlich nach Hause zu kommen, und wir feierten bis der Transport angerollt kam. Dadurch, dass wir alphabetisch in die entsprechenden Waggons eingeteilt wurden, kam ich ziemlich am Schluss an die Reihe. Als der Transport mit offenen Türen los fuhr, winkten uns die russischen Arbeitskollegen noch nach und wir zurück. Vor Kiew blieb der Zug stehen. Die Posten kamen und verschlossen die Türen. In Kiew angekommen wurden wir mit Hunden empfangen und mussten waggonweise antreten. Wie Schwerverbrecher wurden wir in das Punker - Lager getrieben und gefilzt. Die Post (Briefe), die von zu Hause kamen, wurden uns auch weggenommen. Als nächstes kamen wir in ein Zeltlager in Quarantäne. Dort wurde ich krank und bekam eine Rippenfellentzündung. Sie brachten mich in das große Lagerlazarett, welches das Kriegsgefangenenhaus der Ukraine war. In dem Lazarett arbeiteten vier russische und drei deutsche Ärztinnen. Es gab dort auch einen schönen Park. Als ich aufstehen konnte, spazierte ich mit einem Kameraden den Lagerzaun entlang. Außerhalb des Zaunes führte eine Straße vorbei und gegenüber war eine große Grube. Eines Tages betete eine riesige Menschenmenge vor der Grube. Gefangene die zugesehen hatten, lachten darüber. Mein Kamerad wollte stehen bleiben, aber ich sagte: „Gehen wir weiter, da wird gebetet.“ Wir haben nicht gemerkt, dass Dr. Grünwald und Dr. Belabelsgeier, die Ärztinnen hinter uns gestanden sind. Eine Stimme hinter uns rief: #“Schmitgofar, da sind 3000 Jid (Juden) begraben, an die wird gerade gedacht.“ Es war Frau Doktor Grünwald. Sie sagte noch, dass die Juden von der Gestapo und der ukrainischen Hilfspolizei ermordet wurden. Wir gingen weiter, um die Betenden nicht zu stören. Als ich vom Lazarett entlassen wurde und noch von meinem Grubenunfall hinkte, hat mich Dr. Grünewald als Invalide eingetragen. Da ich Russisch konnte, wurde ich zu dem russischen Offiziersbad eingeteilt. Ich war sehr froh, denn dort konnte ich auch schlafen. In den anderen Unterkünften gab es nämlich viele Wanzen. Es gab zwanzig Bunker. In jedem wurden 120 Männer untergebracht. Baracken waren nur zwei vorhanden mit je 300 Männern. Im Lager waren auch fünf Frauen und kleine Kinder. Von einer Frau habe ich mir den Namen gemerkt, sie hieß Frau Steiner und hatte zwei Kinder. Sie war die Sekretärin von Kotzeni, dem Mussolini Befreier. In diesem Lager trafen wir sieben Hegyeshalomer zusammen. Bauer Andreas, Offenbeck Karl, Cserno Lajos, Cseh Jancsi, mein bester Freund Szlabi Schonny und Ende 1949 kam Macher Paul aus Zurndorf zu uns, er kam aus einem Straflager in Neu-Sibirien. Jancsi war Küchenchef. Seine Kochkleidung, die weißen Schürzen habe ich für ihn gewaschen, dafür bekam ich beim Essen immer einen Nachschlag. Mein Freund Schonny war vorher in Sibirien.

Nun kamen die sechsten Weihnachten in Russland, fern von der Heimat. In der Brigade wurde ein Tannenbaum aufgestellt. Er war mit Kerzen und selbstgebastelten Sternspritzern aus Eisenspänen geschmückt. Zwei Pfarrer hielten die Andacht am Heiligen Abend. Die Kinderaugen wurden groß vor Staunen, als die Kerzen und Sternspritzer angezündet wurden. Es war rührend und die Tränen flossen bei allen. Man dachte an zu Hause

In dieser Zeit lernte ich Kriszt Toni aus Karlsburg kennen. Wir verstanden uns gleich sehr gut und wurden Freunde. Die Freundschaft besteht noch heute. Es wurde auch Theater gespielt, wo Toni eine Frauenrolle perfekt spielte. Einige Russen kamen sogar mit Blumen und waren dann sehr enttäuscht.

Einmal bot sich für mich die Gelegenheit, aus dem Magazin eine Schafwolldecke zu organisieren. Es hat niemand bemerkt und ich habe die Decke aufgetrennt. Ich bekam einige Wollknäuel daraus. Die Frauen haben mir dann stricken gelernt. Zwei glatt und zwei verkehrt wiederholte ich immer wieder. So entstand ein schöner Pullover, auf den ich mächtig stolz war. Aber die Freude hielt nicht lange. Ich hatte im Bad Seifenreste gesammelt und kochte den Pullover in der Lauge aus. Er sollte schön weiß werden. Zu meiner Enttäuschung wurde er so klein, dass er nur mehr einem fünfjährigen Kind passte. Ich verkaufte ihn und bekam sechs Rubel dafür.

In diesem Lager war auch das Gericht, wo die Verurteilung der Gefangenen stattfand. Es wurden täglich 20 - 25 Leute verurteilt. Sie bekamen im Durchschnitt 5 -25 Jahre Straflager. Dort wurden auch Bog und Brandstätter, die ich gut kannte und die mir sehr leid taten verurteilt.

Von dort fuhren wir am 15. Dezember 1950 Richtung Heimat. Der Politoffizier hielt eine Abschiedsrede. Er sagte, ihr habt viel mitgemacht, aber ihr werdet das Schlechte schnell vergessen, nur von dem bisschen Guten werdet ihr sprechen. Leider blieb mir nicht nur das bisschen Gute in Erinnerung. In Träumen und schlaflosen Nächten holt mich das Schlechte immer wieder ein. Ich kann es nicht vergessen. Mit gemischten Gefühlen marschierten wir zum Güterbahnhof. Man hatte uns schon oft genug belogen, auch was unsere Heimfahrt betraf. Die Spannung war sehr groß, keiner sprach ein Wort. Die Waggons wurden hinter uns geschlossen, bei jedem Ausgang stand ein Wachposten. Endlich ging die Fahrt Richtung Westen los. Wir haben alle aufgeatmet. In Jaschi, an der rumänischen Grenze, wo man meinen Kameraden und mich einst aus der Brut gefangen hatte, hielt der Zug. Alle mussten wir aussteigen, wir wurden namentlich aufgerufen und mussten Geburtsdaten und Namen der Eltern angeben. Danach durften wir wieder einsteigen und der Zug fuhr ab. Als wir Russland hinter uns hatten, haben wir ein Vater unser gebetet. Gott sei Dank, wir haben überlebt. In Marmarosch - Sieget mussten wir wieder alle aussteigen und in ein Lager gehen. Da war schon ein Männer - Transport aus Woronesch. Unter ihnen waren wieder Landsleute. Die Freude war groß. Zuerst traf ich Benisch Martin, Spiegl Andreas und Matthias und Hans Haas.

Wir waren drei Tage im Lager. Bis ein Transport aus Sibirien kam, an den unsere Waggons angekoppelt wurden. Endlich ging es weiter Richtung Heimat. Bei Sahony überquerten wir die ungarische Grenze. Als der Zug hielt, sprangen viele Ungarn aus den Waggons und küssten die ungarische Erde. Auch mein bester Freund Sandor Szlabi war dabei. Auf dem Bahnsteig warteten viele Leute und fragten nach ihren Angehörigen. Die Fahrt ging weiter, bis wir in Sosto, einem Badeort in Ost - Ungarn ankamen. Dort wartete die „Entlausungskommission“. Plötzlich hieß es, ihr seid nicht die, die wir erwartet haben. Wir bekamen Gulaschsuppe zu essen. Am nächsten Morgen waren wir zu unserer Überraschung wieder von Soldaten umstellt. Zum Frühstück gab es Weißbrot und Kaffee. Danach mussten wir uns aufstellen und 5 km zum nächsten Bahnhof ohne Stationsgebäude marschieren. Dort wurden wir in Waggons verladen. Um Mitternacht kamen wir am Ostbahnhof in Budapest an. Alle mussten aussteigen und im Eilschritt in das Gefängnis Tollonz in der Mosoni Straße marschieren. Wir waren am Boden zerstört, als wir die Hinrichtungsstätte mit den drei Galgen im Hof sahen. Je vierzig Männer wurden in ein Zimmer eingeteilt. Am folgenden Tag war wieder einmal Heiliger Abend. Es war bereits der Siebente, den ich fern von meiner Familie verbringen musste. Meine Kameraden und ich waren ratlos. Was würde mit uns noch alles geschehen? Immerzu hörten wir Hilfeschreie und Gepolter, als würde man jemanden die Stiegen hinunterstoßen. Die Angst, ein Freund könnte es sein, plagte uns. Eingeschlossen mussten wir abwarten, was auf uns zu kam.

Am ersten Weihnachtsfeiertag machten wir Bekanntschaft mit dem Gummiknüppel.

Von unserem Fenster konnten wir den Gerebesch Friedhof sehen, wo viele Leute am ersten Weihnachtsfeiertag die Gräber aufsuchten. Wir wollten uns bemerkbar machen, indem wir das Fensterglas anhauchten und in der Spiegelschrift Namen und Adresse darauf geschrieben hatten. Wir wiederholten es immer wieder, bis es jemand bemerkte und sich etwas auf einen Zettel schrieb. Darauf kamen vier Männer mit einem Gummiknüppel in das Zimmer und schlugen auf uns ein. Dann wurden die Fenstergläser weiß gestrichen, so dass man nicht mehr durchsehen konnte. Nachdem man uns fotografiert und Fingerabdrücke abgenommen hatte, bekamen wir eine Nummer. Das Essen war sehr schlecht und wir wurden schlechter als Tiere behandelt. Nach Neujahr brachte man uns nach Waz in die Hammer Leder-Fabrik. Dort wurden wir bis 1. März auf dem Dachboden untergebracht. Man kann sich vorstellen, wie kalt es da war. Dann kamen wir in ein Lager nach Tiszalök, wo wir an einem Elektrizitätswerk gearbeitet hatten, dass an der Theiß gebaut wurde. Mit den Landsleuten Benisch Martin, Bauer Andreas, Spiegel Andreas, Offenbeck Karl, Haas Hans, Haas Matthias, Steinhöfer Hans, Rehberger Matthias, Hauptmann Hans, Slabi Sandor und Leutasch Franz arbeitete ich in einer Gruppe. Von ihnen habe ich auch erfahren, dass meine Eltern und Verwandte enteignet und aus der Heimat vertrieben wurden.

In diesem Lager in Tiszalök waren wir über 2.000 Männer. Ungarn, Volksdeutsche und Ostdeutsche.

Der Arbeitsplatz, am Fluß „Thisza“ wo das große Wasserkraftwerk gebaut wurde, war mit einem 5 km langen Stacheldraht umzäunt. Es gab auch viele Wachtürme und Patrouillengänge. Wir wurden sehr streng bewacht, sodass es unmöglich war abzuhauen. Ich wurde zu Erdarbeiten am Staubecken eingeteilt, wo wir 600 Pferde mit „Kapps-Wagen“ zur Verfügung hatten. Vor jedem zweirädrigen Karren wurde ein Pferd gespannt. Die mit Erde beladenen Karren wurden zur Böschung gefahren. Die Arbeit war schwer und wir wurden ständig angetrieben. Da ich starke Rückenschmerzen hatte, richtete ich mich kurz auf. Da schrie auch schon der Posten: „Hast Kreuzweh, du Gangster“? Ich antwortete mit: „Ja Herr Stabsfeldwebel“! Er rief darauf: „Komm her, ich werde es dir einrichten!“ Ich musste zu ihm kommen und bekam mit dem Gummiknüppel einen kräftigen Schlag über den Rücken. Wir wurden gedemütigt und geschunden. Ich dachte nimmt das kein Ende, der Krieg ist doch schon lange aus.

Teil 1: Meine Schicksalsjahre 1944-1953

Teil 2: Transport ins Gefangenenlager

Teil 3: Die Fluchtversuche

Teil 4: Not macht erfinderisch

Teil 5: Arbeit im Kohlebergwerk

Teil 6: Neuerlicher Fluchtversuch

Teil 7: Transport in Richtung Heimat

Teil 8: Der 4. Oktober 1953 - Es geht endlich nach Hause

Quelle: Matthias Schmitzhofer