4. Not macht erfinderisch

von Werner

Wenn ich zurückdenke, muss ich, so hart die Zeit auch war oft schmunzeln über Sachen, die uns in unserer Not eingefallen sind oder über Episoden, die durch Zufall passiert sind.

An einem Sonntag mussten 45 Männer antreten. Es ging ab in das Pferdelazarett der roten Armee. Wir mussten die Stallungen reinigen. Ein Magaziner nahm meinen Kameraden und mich mit zum Aufräumen. Er sperrte uns in das Lebensmittel Magazin. Da hingen Stangen von Würsten und Fässer mit Fischen, die kleinen in Salz und die großen in Öl eingelegt. Wir kamen aus dem Staunen kaum heraus. Der Magaziner erlaubte uns, soviel zu essen, wie wir wollten. Nur was angefangen wurde, musste aufgegessen werden. „Keine Restspur darf zu sehen sein“, meinte er. Wir holten uns gleich eine Stange Wurst. Aber es war gar nicht so leicht diese auch aufzuessen.

Wir haben die Stallungen sauber gemacht, dabei ging mir das Fass mit den großen Fischen nicht aus dem Sinn. Schließlich holte ich mir einen großen heraus, streifte das Öl ab und befestigte den Fisch an den Kiemen am inneren Hosenbund. So hing der Fisch zwischen meinen Beinen in der Hose. Unter dem Arm hatte ich Ölflecken von einem Rad Sonnenblumenkuchen.

Beim Antreten stellte ich mich in die Mitte. Plötzlich tropfte Öl aus meinen Hosenbeinen. Dem Unteroffizier ist es aufgefallen und er fing an mich zu beobachten. Ich versuchte mit dem Fuß Sand über das Öl zu schieben, aber es nützte nichts. Der Unteroffizier sagte zu seinem Kameraden, er soll nachschauen, was mit mir los ist. Er kam auf mich zu und fing an mich zu filzen. Er fuhr mit der Hand zwischen meine Beine, schaute mich groß an und griff meine Beine noch zweimal ab. Dann sagte er: „Zeig her!“ So kam zuerst der Kopf des Fisches zum Vorschein. Dann schrie er: „Rieba“, dabei zog er mir den Fisch aus der Hose und schlug ihn mir um den Kopf, sodass ich einen geschwollenen Mund bekam. Der Fisch war zwar weg, aber ich war froh, dass die Sache nicht gemeldet wurde. Ich wäre sicher im ,,Katzer“ gelandet.

Es war Weihnachten 1946 oder 1947. Ich meldete mich am Heiligen Abend nach der Arbeit in der Küche zum Kartoffelschälen. Ich setzte mich in die Nähe des Abflussloches. Die Erdäpfel lagen gleich daneben am Boden bis zur Wand. Mein Freund Nitschinger Gesza wartete draußen mit einem langen Draht, den er durch das Abflussrohr schob. Ich steckte heimlich eine Kartoffel nach der anderen darauf. Gesza zog immer ein bisschen an dem Draht, bis eine lange Kette entstand. Diese haben wir in den Rauchfang gehängt und oben an einer Querstange befestigt. So haben wir die Kartoffel gebraten, denn wir hatten keine andere Kochgelegenheit. Es dauerte nicht lange bis sich der liebliche Duft der gebratenen Kartoffeln verbreitete. Vorsichtig zogen wir die Kartoffeln wieder aus dem Schornstein. Der Posten am Wachturm rief zu seinem Kollegen, da riecht es nach gebratenen Erdäpfeln. Der antwortete, die wären gut zum Aufwärmen. Wir steckten uns die Kartoffeln in die Hosentaschen und verzehrten sie, während wir herum gingen. Man musste sich immer bewegen, denn es blies ein eisig kalter Schneesturm. So wie wir wussten sich auch andere zu helfen, wenn sich eine Gelegenheit bot.

Doch alle hatten nicht so viel Glück. Andere Kameraden hingen ebenfalls ihre Kartoffeln in den Schornstein, haben aber zu lange gewartet, dadurch wurden sie zu weich und fielen nach unten. Die Kameraden rannten in die Küche und rissen das Putztürchen vom Kamin auf. Sie holten die verrußten Kartoffeln heraus. Die überraschten Köche wussten nun was wir verheimlichen wollten. In der Not wurden wir erfinderisch.

Teil 1: Meine Schicksalsjahre 1944-1953

Teil 2: Transport ins Gefangenenlager

Teil 3: Die Fluchtversuche

Teil 4: Not macht erfinderisch

Teil 5: Arbeit im Kohlebergwerk

Teil 6: Neuerlicher Fluchtversuch

Teil 7: Transport in Richtung Heimat

Teil 8: Der 4. Oktober 1953 - Es geht endlich nach Hause

Quelle: Matthias Schmitzhofer