5. Arbeit im Kohlebergwerk

von Werner

Im August 1947, als wir von der Arbeit kamen wurden wir untersucht. Die Gruppe „I“ kam in das Kohlenbergwerk nach Michalofka. Unter den sechzig Mann war ich Gott sei Dank auch dabei. Ich freute mich, von der Strafkompanie weg zu kommen.

So wechselten wir von den Demütigungen zu den großen Gefahren in der Kohlengrube. Wir hatten keine Ahnung wie gefährlich die Arbeit in der Grube sein wird, nur dass es besseres Essen und Geld geben wird, haben wir gehört. Hunger hatten wir sowieso immer. Ein Ingenieur kam und belehrte uns über das Verhalten in der Grube. Einer sollte für den anderen da sein. Hilfsbereit zu sein, egal ob Russe oder Kriegsgefangener, wurde uns gepredigt. Wir sind alle Kumpel sagte der Ingenieur. Er war ein guter, höflicher Mensch. Es ist mir noch gut in Erinnerung, als wir das erste Mal in die Grube einfuhren. Wir waren fünfzig Mann in einem einstöckigen Eisenkorb. Je fünfundzwanzig oben und unten. In Fallgeschwindigkeit ging es über 1000 Meter unter die Erdoberfläche. Da hat es uns den Magen hoch und bei der Auffahrt hinunter gedrückt. Unten waren ein schöner Bahnhof, ein Lazarett und ein zwei Meter breiter Wasserkanal. In diesem Kanal floss das ganze Wasser der Grube zusammen. Vier große Pumpen transportierten das Wasser über dicke Rohre hinauf. Ich drehte mich um und sagte: „Das ist schön“, da gab es plötzlich einen Blitz und ich landete im Wassergraben. Als ich heraus wollte, folgte schon der nächste Blitz. Es lag an der Stromleitung, die oberhalb vorbeiführte. Ich wurde mit vier Russen und einer Frau die Luba hieß eingeteilt. Mit der Frau schob ich die zwei Tonnen schweren Kohlenwaggons oder Gestein. Luba war nett und hilfsbereit. Sie steckte mir oft verstohlen ein Stück Brot zu, obwohl es verboten war. Man musste sehr vorsichtig sein, denn es gab unter uns Antifa Schüler und Spitzel, welche einen für einen Schlag Wassersuppe verrieten. Leider musste die Frau nach sechs Wochen von uns weg. Als Ersatz kam ein 19-jähriges, zartes Tartarenmädchen zu uns. Sie war sehr furchtsam, hatte große Angst, wenn es in der Grube knackste und krachte. Wo die Kohle heraus gearbeitet wurde, standen als Pölzung mehrere hundert Stempel. Unter dem großen Druck des Gesteins brachen sie oft zusammen und Unfälle konnten nicht mehr vermieden werden. Am schlimmsten war es bei Vollmond.

Es gab viele Ratten, die mit ihrem Verhalten oft Unglück und Veränderungen anzeigten. Sie wurden deshalb auch gefüttert. Die Kohlenschicht war zwischen 45 cm und 2,40 m tief und musste herausgesprengt werden. An manchen Stellen konnte man nur liegend, kniend und oft auch im Wasser arbeiten. Da es in der Grube warm war, haben wir oft ohne Hemd geschaufelt. Frische Luft wurde in Rohren zu uns hinunter geblasen. Es gab fast täglich Unfälle mit Verletzten und Toten.

Im November 1947, wir hatten gerade die zweite Schicht, da gab es auf einmal einen furchtbaren Knall. Es war ein Grubenunfall und wir waren 16 Stunden eingeschlossen. Der Ausgang war verschüttet. Wir hatten fürchterliche Angst und sie wurde noch größer, als das Licht erlosch. Wir hatten keine Ahnung wie viel eingestürzt war. Wir dachten an das große Grubenunglück, das es in der Nachbarschaft, in Lidevka, 7 km von uns entfernt am Ostermontag, dieses Jahres gab. Es war damals eine Metan - Gas - Explosion bei der 350 Menschen ums Leben kamen. Es gab keine Rettung. Ein Großteil wurde verschüttet und lebendig begraben. Sie ließen nachher den Schacht mit Wasser volllaufen und danach wurde er zubetoniert und stillgelegt. Man sagte, dass nach 30 Jahren der Schacht wieder geöffnet wird. Der Schacht wurde Karl Marx genannt. Plötzlich hörten wir unsere Retter arbeiten, das gab uns wieder Hoffnung heraus zu kommen. Gott sei Dank hatten wir mehr Glück. Es war eine große Freude und Erleichterung, als wir gerettet wurden. In der Grube hatten wir keinen Posten im Rücken, da waren wir alle gleich.

1948 bekamen wir auch Geld für die Arbeit, besseres Essen, 1 kg Brot am Tag und unsere Haare durften wir wieder wachsen lassen. Außerdem bekamen wir zwei verschiedene Kleidungen. Die Arbeitskleidung war sehr rußig, und die Freizeitkleidung sauber. Täglich durften wir nach der Arbeit baden. Denn bis am Abend waren wir so schwarz, dass im Dunkeln von uns nur noch das weiße der Augen zu sehen war.

Ich kam zu einer neuen Brigade, wieder zu vier Russen und einer Frau. Einer der Russen war Kriegsgefangener in Bayern auf einem Bauernhof, bei einer Witwe mit zwei Töchtern. Als der Krieg zu Ende war, bat die Frau ihn zu bleiben, und es würde ihm auch gut gehen bei ihr. „Ach war ich dumm“, sagte der Russe. Wäre ich doch nur in Deutschland geblieben. Man fand bei ihm die Blutgruppe Null tätowiert. Wir wurden gute Freunde. Er hat fünf Jahre Zwangsarbeit bekommen, weil er sich gefangen nehmen ließ. Es hieß, ein Kommunist wäre lieber gestorben.

Am 13. Februar 1948 wurden wir wieder in einem Bergwerk verschüttet. Wir waren fünf Männer und eine Frau. Es war einfach schrecklich. Wir fühlten uns lebendig begraben. Vier Tage ohne Licht und Essen. Wir hatten mit unserem Leben abgeschlossen und glaubten nicht mehr daran, das Tageslicht jemals wieder zu sehen. In einem Hohlraum hockten wir und die arme Frau weinte bitterlich. Sie hatte einen sechsjährigen Sohn, den sie wahrscheinlich nie mehr sehen würde. Unseren Durst konnten wir zum Glück mit den Wassertropfen an den Wänden ein wenig stillen. Die Frau betete laut. Sie gehörte dem Orthodoxen Glauben an. Da unsere Klopfzeichen nicht gehört wurden, fing ich auch an zu beten. Aber nur im Stillen. Wir versuchten uns gegenseitig zu trösten. Es half nichts, denn wir waren sehr verzagt. Meine Gedanken wanderten wieder nach Hause und in diese versunken, schlief ich ein. Als ich aufwachte, kam mir frische Luft entgegen. Da wusste ich, dass sie durch waren und wir gerettet werden. Unsere Klopfzeichen wurden endlich erwidert und wir erblickten Gott sei Dank wieder das Tageslicht. Von einer Ärztin wurden wir in Empfang genommen und bekamen Milch zu trinken. Zwei Frauen mit insgesamt fünf Kindern haben schon auf ihre Männer gewartet. Auch der sechsjährige Sohn von Marutza. Vor Freude flossen viele Tränen. Es war sehr rührend. Drei Tage brauchte ich nicht zu arbeiten. Danach ging es mit gemischten Gefühlen wieder hinunter in das Bergwerk. Immer wieder stellte ich mir die Frage, ob wir unsere Heimat wiedersehen würden. „Sgoradomou“ sagten sie oft zu uns, ihr dürft bald nach Hause. Sie machten uns nur falsche Hoffnungen.

Es kamen die vierten Weihnachten in der Fremde. Der Heilige Abend war sehr schmerzlich, fern von der Familie. 

Im April 1948 fuhr ein Ungarn Transport ab. Ich war nicht dabei. Der Politoffizier sagte, die Ungarnoffiziere, Gendarmeriebeamte, Polizisten und Volksdeutsche, die bei der Waffen-SS waren, werden nicht angenommen. Ich war bei der Waffen-SS und mit meiner Blutgruppentätowierung gekennzeichnet. In meiner Verzweiflung habe ich mir diese heraus gebrannt. Das war ein Fehler, denn dadurch wurden sie auf mich aufmerksam und verhörten mich.

Teil 1: Meine Schicksalsjahre 1944-1953

Teil 2: Transport ins Gefangenenlager

Teil 3: Die Fluchtversuche

Teil 4: Not macht erfinderisch

Teil 5: Arbeit im Kohlebergwerk

Teil 6: Neuerlicher Fluchtversuch

Teil 7: Transport in Richtung Heimat

Teil 8: Der 4. Oktober 1953 - Es geht endlich nach Hause

Quelle: Matthias Schmitzhofer