Flucht und Rückkehr nach Zurndorf

von Werner

Als die Front im März 1945 schon ganz nahe war, fürchtete man, dass bei dem errichteten Südostwall größere Kämpfe stattfinden werden. Es richteten sich viele zum Flüchten her. Zum Beispiel einen Pferdewagen mit Plane bedeckt.

Wir fuhren am 27. März abends mit etwa 20 anderen Gespannen los. Man musste die Nacht nützen, weil tagsüber immer die feindlichen Flieger eine Gefahr waren. In Götzendorf hatten wir die erste Rast, wo uns ein anderer Treck Zurndorfer überholte, dessen Leitfahrzeug war der Resch mit den Staatshengsten in Richtung Stadl-Paura, wo die Staatshengste ihr zu Hause hatten. Das Tempo dieser Gruppe war manchen Pferden zu schnell daher sonderten sich manche Familien ab und schlossen sich bei uns an. Zum Beispiel Muth und Wurm.

Unser Vater musste beim Volkssturm (Heimatverteidigung) der unter militärischem Kommando war, in Zivil bis kurz vor dem Eintreffen der Russen zu Hause bleiben. So waren mit unserem Wagen, ich als Kutscher, der für den 6. April die Einberufung zu einem Wehrertüchtigungslager in die Slowakei bei mir hatte, unsere Mutter, die Schwestern Resi und Lina, welche den zwei Jahre alten Willi und den drei Monate alten Erwin im Wäschekorb hatte. In Götzendorf wollte man mich zurückhalten und zum Volkssturm zur Verteidigung der Heimat einteilen, aber weil wir junge feurige Pferde hatten und kein Mann dabei war, der die Pferde lenken konnte, durfte ich bis ans erste Ziel weiterfahren.

So kamen wir nach einer Woche in Mold, 4 km neben Horn an, wo uns bei einem älteren Ehepaar Quartier zugewiesen wurde. Es war da schon eine Familie aus Siebenbürgen mit ihrem Gespann. Als wir in dem uns zugewiesenen Zimmer das Meiste von unserem bedeckten Wagen eingeräumt hatten, ging ich am nächsten Tag Zum Ortsgruppenleiter. Das war in jedem Ort neben dem Bürgermeister der politische Leiter, um mich zu melden, wie es mir Götzendorf aufgetragen wurde. Dieser fragte mich wo wir wohnen und wie alt ich sei. Ich antwortete und sagte, dass ich Weihnachten herum 15 Jahre alt war, worauf er sagte, gehe nach Hause und erhole dich von der Reise und komm in einer Woche wieder.

Der Zufall wollte es, dass unser Vater am Rückzug von seinen Leuten versprengt wurde und in Horn einigen jungen Mädchen von unserem Flüchtlingstreck begegnete und von diesen erfuhr, dass wir ganz in der Nähe sind. Für uns war es eine seelische Erleichterung, denn unser Vater entschied, dass ich mich nicht mehr zum Dienst mit der Waffe meldete. Die Frist meiner Einberufung war sowieso schon abgelaufen. Es war die Gefahr nicht sehr groß, dass ich entdeckt würde, aber es drohte für Fahnenflucht das Kriegsgericht.

Es war strengstens verboten im Radio einen feindlichen Propagandasender abzuhören aber es waren doch einige die aus diesem Sender wussten, wie Osterreich nach dem Sieg der Alliierten aufgeteilt werden soll, und dass man nach Freistadt kommen müsste um in die künftige amerikanische Zone zu gelangen. Daher hatten mehrere Familien, die im selben Ort wie wir untergebracht waren zum Weiterfahren gedrängt und um sich nicht von der Gruppe zu lösen sind auch wir weitergefahren.

Es war ein sehr starker Verkehr auf der Straße durch den Rückzug der deutschen Truppen so haben wir, der größte Teil des Trecks etwa sechs km vor Großgerungs sich entschlossen in den verstreuten Häusern der Gemeinde Oberrosenauerwald Quartiere zu suchen. Unsere Familie bezog beim Zach einem Bauern Quartier. Unsere Pferde hatten wir in der Scheune untergebracht. Unsere Familie hatte einen großen Raum zum Wohnen und Schlafen. Kochen konnten wir in der Küche des Bauern, da stand ein riesiger Herd. Ich habe meine Schlafstätte am Schweinestallboden im Sautrog zurechtgemacht. Unser Vater und ich haben dem Bauern bei der Arbeit geholfen.

Das Futter für das Vieh haben die alles gehäckselt. Dabei habe ich das erste Mal einen Göppel in Betrieb gesehen. Der Göppel wurde mit einem Ochsenpaar die im Kreise getrieben wurden betrieben. Auf dem Feld haben die für unsere Verhältnisse sehr umständlich gearbeitet. Mit unseren Pferden durfte ich nicht ackern, denn der Boden hatte oft feste verdeckte Steine, wo die Pferde nicht stehen geblieben wären und den Pflug demoliert hätten. Die Ochsen sind da jedes Mal stehen geblieben, man hat den Pflug über den Stein gehoben und hat die Ochsen neu angetrieben.

Bevor der Krieg zu Ende ging und dieses Gebiet von den Russen kampffrei eingenommen wurde, ist im nahen Zwettl die Genesungskompanie entlassen worden, damit die Soldaten nicht in russische Kriegsgefangenschaft geraten. Da war von unserer Schwester Lina der Mann dabei, der mit einem Mönchhofer (Hafner Florian) zu uns gefunden hat.

Nachdem die Russen in dieser Gegend meist kampflos durchgezogen sind, fanden nur selten welche zu den einzelnen Höfen. Bei unserem Nachbarn (Floh-Hahn) waren einmal zwei russische Soldaten mit einem Pferdegespann, was wir aus unserem Haus aus beobachten konnten, worauf unser Vater durch das dazwischenliegende Tal etwa fünf- bis sechshundert Meter entfernt zu den Nachbarn hinüberging. Die Russen waren anfangs friedlich und haben mit den Nachbarn und Vater Schnaps getrunken, doch plötzlich bekamen sie Angst und behaupteten unser russisch sprechender Vater wäre einer von den Wlasov-Truppen (Wlasov war ein russischer General, der mit seiner Armee zu den deutschen übergelaufen war und gegen die Russen kämpfte). Während die beiden mit unseren Männern soffen hat der zwölfjährige Franz dem einen die MP (Maschinenpistole) entladen. Schließlich haben die beiden fluchtartig mit ihrem Gespann den Hof verlassen.

Es kamen aber einige Male Polen, die hier als Zwangsarbeiter bei den Bauern gearbeitet hatten, auch zu unserem Hof um zu plündern. Sie fanden einen Schinken und eine Seite Speck, die sie mitnahmen, den Rest hatten wir vergraben. Von unseren Hausherren nahmen sie nur Brot und Butter, das Geselchte, welches die hatten war ihnen zu unappetitlich, zu rußig. Nach unseren Pferden haben sie gefragt, weil ja der Wagen dastand, aber wir konnten sie überzeugen, dass diese schon vorher die Russen weggenommen hatten. Unsere Pferde hatten wir in der Scheune mit Stroh verräumt.

Es waren auch bei unseren Flüchtlingsfamilien Polenarbeiter dabei, die haben sie mitgenommen, denn die durften Richtung Heimat ziehen. So haben sie der Frau Weiß Matthias, deren Mann seit Stalingrad vermisst war, ihren Polenkutscher samt Pferde und Wagen mitgenommen. Dieser Mann hat sich als treuer Knecht erwiesen indem er mit dem Gespann bis nach Gattendorf zum Schwager der Frau Weiß, Gastwirt Scheibenbauer fuhr. Scheibenbauer ließ die Gruppe Polen übernachten und schickte am nächsten Tag einen Mann mit dem Fuhrwerk mit nach Pressburg, wo die Sammelstelle der Polen war. Von da fuhr der Mann (Pinz) nach Hause nach Gattendorf und das Gespann war gerettet.

Bei der Gruppe Polen erwies sich auch ein zweiter Pole als treuer Geselle, der Pole von Frau Muth, der Familie meiner heutigen Frau, war mit dabei und während seine Kollegen in Gattendorf übernachteten ist er zu Fuß nach Zurndorf gelaufen und hat seinem Bauern Herrn Muth, der beim Volkssturm zu Hause bleiben musste, dann aber nicht mit der Front mitgezogen ist sondern sich zu Hause versteckt hatte aufgesucht und ihm mitgeteilt, wo seine Familie derzeit ist. Wir haben später, etwa ab Ende der Siebziger Jahre, solange dieser Josef gelebt hat mit ihm korrespondiert und Pakete geschickt.

Die Gruppe Zurndorfer, die sich von uns getrennt hatte als wir in Oberrosenauerwald geblieben sind und nach Feistadt weiterfahren wollte, wurde in Großgerungs umgeleitet und nach Weitra in ein Flüchtlingslager gebracht, wo sie da in Massenquatieren oder auf den Wagen übernachten mussten. Zwei Familien des Trecks überließen den alten Müttern mit den polnischen Kutschern die Gespanne und die Töchter fuhren in Soldatenlastautos mit in Richtung Westen. Die Gespanne mit ihren Habseligkeiten waren für diese Familien verloren als die polnischen Kutscher sich mit den Gespannen den Russen anschlossen. Als die Russen näher kamen brach die Gruppe bei Nacht und Nebel auf um zu den Amis zu gelangen. Als ihnen nachts eine Kolonne Pferdegespanne begegnete merkten sie erst, dass dies Russen waren.

Nachdem die Russen vor denen wir geflüchtet waren uns überholt hatten, planten wir die Heimfahrt. Wir ließen auf unseren Wagen Schleifen anfertigen, denn wir hatten bei der Hinfahrt schlechte Erfahrungen ohne Bremsen gemacht. Am letzten Tag kurz vor der Abfahrt stieß noch Muth Andi zu uns, der auch aus dem Genesungslager in Zwettl kam und durch Zufall zu uns fand. Dieser fuhr mit dem Gespann von Muth nach Hause, ansonsten war ich dazu eingeteilt diese Familie zu fuhrwerken.

Der Mönchhofer, der schon mehr als eine Woche bei uns war, war zu Frau Lambert (Fleischhauer) als Kutscher eingeteilt. Am Heimweg kam eines Nachts von Niedermayers Stute ein Fohlen zur Welt. Wir haben eine Kiste zusammengezimmert und haben das Fohlen hinten im Schragen mitgeführt und zu den Mahlzeiten heruntergehoben um es bei der Stute zu tränken. Als unsere Kolonne am Heimweg bei einem Rübenfeld vorbeifuhr, wo einige Frauen mit einem Mann arbeiteten fragte dieser wohin wir fahren. Als er hörte, dass wir die Meisten Zurndorfer sind, ließ er seine Scheren fallen und sprang auf einen unserer Wägen auf, es war ein Golser Brunner.

In Stockerau wurden wir von Russen aufgehalten und kontrolliert. Der Mönchhofer Florian wurde von den Russen mitgenommen, er kam erst zwei Jahre Später aus der Gefangenschaft nach Hause. Der Golser hat beobachtet, dass da einer mitgenommen wurde, flüchtete in ein Haus und kam erst ein Stück nach der Stadt wieder zu unserem Treck. Außer uns Zurndorfer war auch ein Wagen aus Berg mit uns auf dem Heimweg, da war ein hübsches Mädchen dabei. Eines Abends als wir eine Bleibe für die Nacht suchten, waren zwei Russen sehr behilflich und wiesen Scheunen zum Unterstand für uns zu. Während unsere jungen Frauen und Mädchen sich im gedeckten Wagen zurückzogen, ließ sich das Mädchen aus Berg sehen. Die hilfreichen Russen merkten sich wo diese Familie einquartiert war und holten sich das Mädchen nachts heraus, wobei mehrere über sie herfielen. Als wir durch Wien fuhren, erzählten uns die Leute von Massenvergewaltigungen. Die Reichsbrücke über die wir fuhren, hieß während der Besatzungszeit „Brücke der roten Armee“.

Wir kamen am 5. Juni nach Hause. Die erste Nacht haben wir in der Scheune geschlafen. In der Wohnung war alles verwüstet. Die Kästen hatte unser Schnitter Unger, der nicht geflüchtet war auf die Vorderseite gestürzt, dadurch war von den Plünderern nur die Rückseite eingetreten. Wir haben stückweise zusammengezimmert was möglich war. Was nicht niet und nagelfest war, war verschleppt, im Keller waren die Fässer bis auf eines weg. Bei dem einen hatte unser Schnitter Herr Unger das Türl herausgenommen.

Der provisorische Gemeinderat, der auch Gemeindepolizei war und durch rote Armbänder gekennzeichnet war, hat die Esparsetenfelder der geflüchteten Bauern verlizidiert. Nur unseren Acker am breiten Waldacker haben sie vergessen, daher hatten wir für unsere Pferde Futter.

Der Sommer 1945 war sehr trocken, daher war die Ernte sehr mager, Wir hatten im Frühjahr zwar noch Gerste angebaut, aber die Felder, die für Mais und Futterpflanzen gedacht waren, konnten im Sommer so wenig geackert werden wie die Stoppel der Getreidefelder.

Quelle: Michael Pschaiden