Dynamitfabrik Zurndorf

von Werner

In diesem Artikel wollen wir Ihnen interessante Details über die Dynamitfabrik in Zurndorf zur Verfügung stellen. Dieser Artikel wurde von Ewald Metzel, unter Berücksichtigung vorhandener Literatur, verfasst.

Bei der im ersten Beitrag erwähnten Fabrik handelt es sich um die Meganitfabrik Zurndorf.
Ewald Metzel hat hier anhand des Buches von Hans Hahnenkamp, Die burgenländische Industrie, Bd. 2 1881-1921 (Eisenstadt 1994) die wichtigsten Infos, teilweise wörtlich aus der Literatur entnommen bzw. zusammengefasst.

Gründung:
1887 errichtete die Firma Wilhelm Schückher und Compagnon in Zurndorf eine Meganit(Dynamit)-Fabrik. Meganit war ein Sprengstoff, der Nitroglycerin mit dem Aufsaugungsmittel (Basis) Nitrozellulose in gelatinösen Zustand brachte (bei Dynamit ist die Basis Infusorienerde = Kieselgur).

Einteilung der Fabrik:
Das Areal der Firma umfasste etwa 75 Katastraljoch (431.625 m²).

Die Gebäude waren in zwei Gruppen aufgeteilt:
Die erste Gruppe bestand aus den nicht gefährdeten Objekten, wo Rohmaterial und Abfälle bearbeitet wurden. Dieser Bereich ist heute in Privatbesitz und wurde renoviert, siehe Homepage Zurndorf.

In der zweiten Gruppe befanden sich die explosionsgefährdeten Gebäude mit der Nitroglycerinfabrik, wo das Meganit erzeugt wurde.

Gruppe 1:

- Kesselhaus mit zwei Kessel von je 160 m³ Heizraum

- Maschinenhaus mit einer 50 PS Dampfmaschine, 15 PS Luftkompressor, Gramme-Apparat (Wechselstrommaschine) zur elektrischen Beleuchtung von 160 Flammenstärke [Anm. d. Verf.: Lux? Lumen? Candela? Weiß es jemand?], Maschinenreparaturwerkstätte, Salpetermühle, Zellulosetrockenapparat und Trockenkammer.

- Nitrozellulosefabrik mit Montejus-Apparat (Pumpe), Filterkammer, Gußeisen-Abklärmaschine zur Rückgewinnung der überschüssig verwendeten Säuren, Pressraum mit hydraulischer Presse, Waschraum mit den Bottichen zur Entsäuerung der gepressten Zellulose, Holländer-Raum mit zwei Holländern von je 200 kg, mit zwei Dämmen zum Sammeln der gereinigten Nitrozellulose, zwei sich zentrisch bewegende Maschinen zur Ausscheidung der Nitrozellulose, Wasserpumpe für die hydraulische Presse, Raum für Papierrauf- und -schneidemaschine.

- Gebäude mit Trockenkammer, in der sich Laugenfässer zur Reinigung der gebrauchten Zellulose befanden, 24 Rahmen zur Trocknung der gereinigten Zellulose und zwei Exhauster, weiters ein Raum mit dem Apparat zum Paraffinieren des Patronenpapiers.


Gruppe 2:

- Nitroglycerinfabrik

- Patronenfabrik

- Depots


Die Ölfabrik umfasste eine Vorrichtung für die Nitroglycerinherstellung, zwei Separatoren und einen Raum mit einem Sicherheitsbottich, einen Säurebehälter, einen Montejus-Apparat, einen Absonderungsraum mit sechs Scheidegefäßen zu je 3.000 kg, eine Filterkammer und drei Seihkästen, schließlich zwei Mischräume mit den zum Meganitmengen nötigen Mengentrog und mit Filtern.

Die Patronenfabrik bestand aus 12 Hütten zur Herstellung der Patronen, aus drei Trockenkammern zur "Dörre" der Nitrozellulose und aus drei Lagerräumen.
Das Meganit wurde in Patronen mit den Zahlen I, II und III auf den Markt gebracht und hatte Eigenschaften, wie sie von "keinem Sprengstoff erreicht wurden". Es war gegen Stöße unempfindlich, konnte längere Zeit im Wasser ohne Beeinträchtigung der Wirkung liegen, gefror nur unter ganz extremen Bedingungen und entwickelte bei der Explosion sehr wenig Gas.

Die Produktionskapazität der Fabrik betrug 10.000 kg pro Tag, sodass jährlich 3 Mio. kg Meganit hergestellt werden konnten.

Explosionen in der Fabrik:

Insgesamt gab es innerhalb von drei Jahren drei Explosionen in der Fabrik, bei denen drei Todesopfer zu beklagen waren.

- 23. Jänner 1888: Keine Todesopfer.

- 1. September 1888: Keine Todesopfer.
50 kg Meganit detonierten im von Erdwällen gesicherten Apparatehaus. Der Werksdirektor Ballabene alarmierte alle Arbeiter, als er rote Dämpfe, die das überhitzte Nitroglycerin bildete, bemerkte. Nachdem alle Arbeiter geflüchtet waren, ging das Meganit in die Luft. Sämtliche Fensterscheiben am Gelände brachen, auch die des 800 Schritt entfernten Beamtenhauses und auch einige Fenster im 2,5 km entfernten Zurndorf zerbarsten. Sogar in Preßburg war die dumpfe Detonation deutlich wahrnehmbar.
Das Unglück hätte noch viel schlimmer kommen können, da im Apparatehaus insgesamt 400 kg Meganit lagerten - 50 kg detonierten, der Rest ging zuvor in roten Dämpfen auf. Sämtliche Objekte waren stark zerstört, dennoch entgingen 14.000 kg fertiger Meganitpatronen in den Lagerschuppen der Detonation.

- 12. Dezember 1890: 3 Todesopfer, 3 Schwerverletzte.
In Patronenhütte 11 füllten drei Arbeiterinnen Patronen mit Meganit, als dieses explodierte. Wieder bot die Fabrik ein Bild der Verwüstung.
Ein Kommissär des Ministeriums legte die Fabrik daraufhin einige Zeit still.

Umbenennungen und Ende:

Am 5. Jänner 1891 wurde die Firma in "Ungarische Sprengstoff-Actien-Gesellschaft ("Magyar robbáno anyaggyár részvénytársaság") geändert und am 19. Februar protokolliert.
Das Ende der Firma dürfte um 1925/26 gekommen sein. Sie wurde von Dynamit Nobel übernommen, womit sich der Firmenname in "Österreichische Dynamit Nobel AG" änderte.

Daten:

1891:

- Produktionskapazität: 1.120.000 kg Meganit
- Herstellung: 200.000 kg Meganit
- Personal: 1 Direktor, 2 Beamte, 3 Aufseher, 6 Handwerker, 26 Taglöhner, 9 Arbeiterinnen.

1894:

- Personal: 3 Beamte, 45 Arbeiter, 6 Arbeiterinnen, 5 Taglöhner [Anm. d. Verf.: Vermutlich gab es auch einen Direktor, ist in der Quelle aber nicht vermerkt]

- Es gab bereits drei Dampfmaschinen im Werk

1895 und 1896 musste der Betrieb wegen Absatzschwierigkeiten zeitweise stillgelegt werden. Hauptabnehmer war in dieser Zeit Bulgarien.
Ab dieser Zeit entwickelte sich die Sprengstofffabrik Blumau zu einer schweren Konkurrenz, weil dieser militärische Betrieb Erleichterungen genoss, die er auch in Anspruch nahm, wenn er zivile Geschäfte tätigte (beispielsweise günstigere Bahntransportkonditionen).

1906:

- 160 Arbeiter.

Umsätze und Gewinne:

1891: Aktienkapital: 400.000 Gulden

1904: Aktienkapital: 240.000 Kronen; Gewinn: 53.357 K 66 h

1906: Gewinn: 90.729 K 97 h

1909: Aktienkapital: 240.000 Kronen; Gewinn: 38.735 K 04 h

1910: Gewinn: 70.613 K 48 h

1911: Gewinn: 52.053,84 K

1912: Gewinn: 86.291,87 K

Quelle: Hans Hahnenkamp, Die burgenländische Industrie, Bd. 2 1885-1921 (Eisenstadt 1994)

Atlas Burgenland - DYNAMITFABRIK ZURNDORF

Ein weiterer wichtiger Betrieb der Sprengmittelindustrie war die Dynamitfabrik in Zurndorf. Das gefährliche Nitroglycerin wurde als "Meganit" produziert, als Basis diente Nitrozellulose.

Die Fabrik entstand 1887 und wurde von der Firma Wilhelm Schückher errichtet. Jährlich wurden drei Millionen kg Meganit produziert. Immer wieder kam es zu schweren Explosionen, etwa 1888. Das Gebäude konnte rechtzeitig evakuiert werden, wurde aber total zerstört. 1890 kamen drei Frauen bei einer Explosion ums Leben, weitere wurden schwer verletzt. 1891 wurde der Firmenname in "Ungarische Sprengstoff - AG" geändert. 1894 waren 3 Beamte, 45 Arbeiter und 6 Arbeiterinnen sowie 5 Taglöhner beschäftigt. Der Großteil des Sprengstoffes wurde nach Österreich, nach Serbien, Rumänien und später nach Bulgarien exportiert. 1895 erzwangen Absatzprobleme die zeitweise Einstellung.

Mit der K.u.K. Pulverfabrik in Blumau erwuchs eine starke Konkurrenz, 1908 wurde ein Exportverbot nach Serbien verhängt, die Balkankriege erhöhten aber den Absatz, die Gewinne waren beachtlich. 1925 übernahm die ungarische Sprengstoff - AG die Dynamitfabrik in St. Lamprecht. Der Firmenname wurde auf "Österreichische Dynamit Nobel AG" geändert.

Quelle: http://www.atlas-burgenland.at/index.php?option=com_content&view=article&id=524&Itemid=137

Zur Meganit-Explosion - Preßburg, 25. Jänner 1888

Die aus Zurndorf an uns eingelangten und in unserer gestrigen Nummer mitgeteilten Nachrichten über die entsetzliche Explosions-Katastrophe bedürfen in mancher Hinsicht Ergänzung und Richtigstellung.

Vor allem sein betont, dass die dortige Fabrik einer Kommandit-Gesellschaft gehört, an deren Spitze, der aus Deutschland nach Wien kommende ehemalige Baumwollagent Wilhelm Schückher und ein gewisser Herr Kaniz stehen. Leitender Direktor ist Herr Ballabene, der bekanntlich vor mehreren Jahren der Preßburger Dynamitfabrik vorstand.

In der Zurndorfer Fabrik wird fast ausschließlich nur Meganit erzeugt, ein Sprengmittel, das dem Dynamit ziemlich gleichkommt, jedoch dessen Erzeugung mit viel größeren Gefahren verbunden ist als die Herstellung des Dynamits. Wie und woraus Meganit erzeugt wird, ist durchaus kein Geheimnis, gerade so wenig wie die Erzeugung der übrigen neueren Sprengstoffe, als da sind: Melanit, Belit, Roburit und Sekurit.

Meganit besteht aus einer Mischung von Nytroglycerin, trockener Nytrocellulose und Schwarzpulver, das heißt Salpeterpulver. Was eben die leichte Explosionsfähigkeit bei Erzeugung des Meganit so eminent steigert, ist die Verwendung der trockenen Nytrocellulose die bei Dynamiterzeugung nur in feuchtem Zustande verarbeitet wird, wodurch die Gefahr der Explosion selbstverständlich herabsinkt.

Bevor wir auf die stattgehabte Explosion in Zurndorf, der drei Menschenleben zum Opfer fielen, näher eingehen, wollen wir die dortige Fabrik beschreiben. Dieselbe besteht aus 4 Hütten für Nytroglycerin 12 kleinen sogenannten Patronenhütten, 2 Backhäusern, 3 Magazinen, vier gemauerten Gebäuden und zwar Kesselhaus, Maschinenhaus, Salpeter-Zellulose-Fabrik und dem Gebäude für Destillation der Salpetersäure, schließlich aus dem 500 Meter von der Fabrik entfernt gelegenen Wohnhause. Zwischen all den aufgezählten Gebäuden und Hütten sind Wälle ähnlich wie bei der Preßburger Fabrik aufgeworfen.

Die Explosion hat in einer Hütte stattgefunden, wo Meganit Patronen gefüllt, respektive verfertigt wurden, bei welcher Arbeit man drei blutjunge Mädchen verwendete und die grässlich verstümmelt ihr Leben einbüßten. Unweit dieser in die Luft gegangenen Werkstätte befand sich das Backhaus, welches durch den enormen Lustdruck auch bedeutend mitgenommen wurde und erlitten die darin befindlich gewesenen Arbeiter und Arbeiterinnen mehr oder weniger Verletzungen. Ein Beweis, dass das explodierte Material ein sehr bedeutendes Quantum gewesen sein muss.

Obgleich noch nicht festgestellt ist, auf welche Weise die Explosion entstand, so kann man doch mit vieler Gewissheit annehmen, dass entweder der Druck oder die Reibung bei Füllung der Patronen die Ursache gewesen. Der Vorgang beim Füllen dieser Patronen ist folgender: in einer Hütte sitzen bei einem gewöhnlichen Holztische 2 bis 3 Arbeiter, oder Arbeiterinnen, mehr Personen in einer Hütte zu verwenden verbietet das Gesetz, vor jedem dieser Arbeiter Liegt eine blecherne längliche Wanne in Form eines großen Lavoirs, dessen eine Seite einen kleinen Schnabelförmigen Auslaufs Kanal hat, durch welchen mittelst eines hölzernen Stabes die im Becken befindliche fertige Meganit Masse in die Patrone eingeführt wird. Die Patrone besteht aus einer Papierhülse von ca. 23 Millimeter Durchmesser und 10 bis 12 Zentimeter Länge. Diese Hülse wird in einen dem Umfang entsprechenden kleinen an beiden Enden offenen Zylinder aus Zink geschoben und hernach setzt die Arbeiterin diesen Zylinder mit dem einen Ende an die auf ihren Knieen liegendes Brettchen und mit dem oberen Ende dicht unter den Schnabel der Wanne und schiebt mit dem Holzstabe die Masse hinein, welche sie sodann mit demselben Stabe in der Hülse feststampft. Ist so die Hülse gefüllt, dann sticht sie mit dem Stabe die volle Papierhülse aus dem Zinkzylinder, verschließt die beiden Enden durch Einbiegen des Papierrandes und die Patrone ist fertig. Die auf solche Weise erzeugten Patronen kommen später erst in eine Kapsel aus Metall, um zu Sprengzwecken verwendet werden zu können.

Wenn nun bei oben geschildertem Vorgange die Reibung oder der Stoß zu groß ist, so explodiert das Meganit, was bei Dynamit oder anderen Sprengstoffen nicht so leicht der Fall ist. Wir erwähnen nur nebstbei, dass bei der Katastrophe in der Preßburger Fabrik im Jahre 1886 nicht Dynamit, sondern ein mit Knallquecksilber gefüllter elektrischer Minenspreng-Zünder explodierte. Die Handhabung des Dynamits bietet etwas weniger Gefahr, wie jene mit Meganit und zieht man den Umstand in Betracht, das in neuerster Zeit alles getan wird um menschenmöglichste Sicherheit bei der Fabrikation von Sprengstoff bieten zu können, so kann man hoffen, dass auch bald die Mittel gefunden werden, um die Gefahr bei Erzeugung des Meganits abzuschwächen.

Zu den Vorsichtsmaßregeln bei Füllung von Patronen gehört unstreitig auch die Tatsache, dass es nicht egal ist, wieviel auf einmal des fertigen Sprengstoffes man einer Arbeiterin verabreicht. Es ist nicht egal, ob die Arbeiterinnen mit 10 oder 50 Kilo hantiert. Damit kann zwar nicht verhindert werden, dass bei einer Explosion die dabei befindlichen Arbeiter zu Grunde gehen, aber es kann wohl die Explosionskraft und Wirkung des Stoffes nach Außen geschwächt und vielleicht verhindert werden, das in der Nähe sich aufhaltende Arbeiter gleichfalls ihr Leben einbüßen und anstoßende Gebäude zerstört werden.

Diese Vorsichtsmaßregel scheint nun in Zurndorf nicht angewendet worden sein, indem Personen auch im unweiten Backhause verletzt wurden, das Quantum, welches die Mädchen vor sich liegen hatten, scheint mithin ein sehr bedeutendes gewesen zu sein. Die Fabrik wurde erst am 6. Dezember 1887 eröffnet und sind seither schon zwei, wenn auch gottlob nur kleine Brände vorgekommen. Überdies fehlt die staatliche Beaufsichtigung. Die Preßburger Fabrik zum Beispiel wird mehrere Mal des Jahres durch eine Kommission unter Führung des Professors Lucich inspiziert, könnte dies nicht ähnlich auch in Zurndorf geschehen? Jedenfalls würde es nicht schaden.

Direktor Ballabene ist in seinem Fache eine hervorragende Persönlichkeit und als geschickter Leiter bekannt, dem das Glück in seinem gefährlichen Berufe ziemlich hold gewesen, abgesehen davon, dass ihn einst bei einem Versuch mit Sprengstoffen zwei Finger verstümmelt wurden. Die jüngste Explosion dürfte, wie bereits gesagt, durch Unvorsichtigkeit der Arbeiterinnen entstanden sein. Übrigens wiederholen wir dasselbe, was wir bereits gelegentlich der Preßburger Explosion sagten, dass man in solchen Fabriken stets für die strengste Kontrolle sorgen müsse und weder mit dem Lohne der Angestellten noch mit den Erfordernissen zur nötigen Kontrolle sparen noch auch irgend eine Pression auf die Angestellten wegen rascher Arbeit ausüben dürfe.

Das Direktor Ballabene mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, ist uns bekannt und dürfte eine bedeutende Schwierigkeit auch darin bestanden haben, passende Arbeiter für die Fabrik zu gewinnen. Was nützt schließlich aber auch alle Vorsichtsmaßregeln und die vollkommene Einrichtung, wenn ein einziger falscher Griff oder etwas zu starker Druck von der Hand einer 13-jährigen Arbeiterin genügt, um eine so fürchterliche Katastrophe herauf zu beschwören. Es ist eben ein fortwährendes Spielen mit dem Tode.      

Quelle: Westungarischer Grenzbote, Donnerstag 26. Jänner 1888

Wieder eine Explosion in der Zurndorfer Meganit-Fabrik - Zurndorf 31. August 1888

Noch ist die grauenhafte Katastrophe vom 23.  Jänner 1888, welche drei jungen Arbeiterinnen das Leben gekostet, in lebhafter Erinnerung, als heute wieder die Höllenwerkstätte der hiesigen Meganitfabrik durch eine entsetzliche Explosion meilenweit die Bewohnerschaft in Angst und Schrecken versetzte. Wir haben bereits seinerzeit hervorgehoben, dass die Zurndorfer Meganitfabrik sich in einem derartigen Zustand befindet, dass es unglaublich erscheint, wie es die Regierung ruhig mitansehen kann, dass man in Folge knausriger Lotterwirtschaft jeden Augenblick hunderte von Menschenleben aufs Spiel setzt.

Hatte die erste Explosion schon der genannten Fabrik einen bedeutenden Riss versetzt, so hat die heutige Katastrophe ihr vollends den Todesstoß gegeben, denn nunmehr ist es heiligste Pflicht der Regierung energisch einzuschreiten und einem Zustande ein Ende zu bereiten der unserem Vaterlande nichts weniger als zur Ehre gereicht.

Die heutige Katastrophe war abermals ein Mahnruf zum Erwachen aus dem Opiumrausche des Schlendrians und zum rücksichtslosen Vorgehen gegen alle jene, welche ihren strafbaren Leichtsinn hinter Banknotenbarrikaden zu verschanzen streben. Das Menschenleben ist zu kostbar, und wäre es selbst dasjenige einer armen verlassenen Bauerndirne, als dass man aus schnöder Gewinnsucht damit spielte, wie mit wertlosen Kartenblätter.

Bei der heutigen Explosion hing es nur an einem Haare, einem glücklichen Zufalle – und mehr als 70 Menschen wären der aus Ersparungsrücksicht mangelhaft eingerichteten Meganitfabrik zum Opfer gefallen. Über die Gefährlichkeit der Meganit Erzeugung haben wir uns bereits gelegentlich der ersten entsetzlichen Katastrophe eingehend ausgesprochen. Wir haben bewiesen, dass die Erzeugung hundertmal gefährlicher als jene des Dynamits ist und haben die Erwartung ausgesprochen, dass wenn schon die probeweise Erzeugung dieses neuersten Sprengstoffes gestattet wurde, die Regierung bemüht sein wird, strengstens dafür Sorge zu tragen, dass nach Möglichkeit zum Schutze der hierbei Beschäftigten die größte Sorgfalt angewendet wird.

Wie nun der heutige Unglücksfall darlegt, war dem nicht so! Die Regierung erteilte zwar die Bewilligung zur Erzeugung dieses neuersten Sprengstoffes, für deren Vorhandensein nebenbei bemerkt gar keine dringende Notwendigkeit vorlag, denn das Dynamit erfüllt vollständig die Anforderungen die man an dasselbe stellt, aber sie unterließ die erforderliche Beaufsichtigung und Kontrolle. Oder glaubt man damit Genüge geleistet zu haben, wenn monatlich einmal der Oberstuhlrichter in Begleitung eines Maurermeisters aus der Nachbargemeinde seitens der Gewerbebehörde die Fabrik inspiziert und alles richtig und in schönster Ordnung befindet? Wir wetten Hundert gegen Eins, dass die benannten Amtsorgane von der Meganit Erzeugung so viel verstehen, dass, falls man ihnen Kleie oder Trebern vorlegt, sie es für Meganit halten. Eine so bestellte Fachkommission hat nun über die Fabrik an die Regierung Bericht zu erstatten und beaufsichtigt alle nach dem Gesetze erforderlichen Vorgänge in derselben. So kommt es nun auch, dass hinsichtlich der Zurndorfer Meganit Fabrik wahrhaftig asiatische Zustände herrschen.

Die heutige Explosion hat circa um 8 Uhr Früh stattgefunden. Um diese Zeit herum wurde nämlich in der ganzen Umgebung von Zurndorf eine heftige Detonation wahrgenommen. Ja selbst in Preßburg, also in einer Entfernung von 22 Kilometer, hatte man die Detonation gehört. Die erste Nachricht von dem Unglückfalle traf hier durch die Truppen ein, welche mittags von den Manövern in Halbturn zurückkehrten. Als die Mannschaft zirka eine halbe Stunde von Zurndorf entfernt auf der Landstraße hierher marschierte, sah sie plötzlich einen intensiven Feuerschein, welcher sich binnen weniger Minuten zu einer wahren Feuersäule konzentrierte. Wenige Minuten später vernahm man eine so heftige Detonation, dass die ganze Mannschaft erbebte, und eine mächtige Rauchwolke gen Himmel stieg. Schlimmes ahnend, begab sich sofort ein Regimentsarzt und eine Abteilung Infanterie an Ort und Stelle, wo man alsbald der Bescherungen ansichtig wurde, welche die Explosion hervorrief. Da der Regimentsarzt sich die Gewissheit verschafft hatte, dass zum Glück keine schweren Verletzungen vorgefallen waren, verließ er wieder den Schauplatz des gräulichen Ereignisses.

Als die Truppen in Preßburg einrückten, verbreitete sich dortselbst sofort die Schreckenskunde und man wusste nun, was die riesige Detonation zu bedeuten habe, die man auch dort ganz deutlich vernommen hatte. Nachdem sich die Redaktion des “Westungarischen Grenzboten“ Gewissheit verschafft, dass die rasch verbreiteten Gerüchte einer neuerlichen Explosion in der Zurndorfer Meganit Fabrik auf Wahrheit beruhen, begab sich Schreiber Dieses sofort mittelst Wagens an Ort und Stelle. Als wir bei der Fabrik, welche 10 Minuten von Zurndorf entfernt liegt, anlangten wollte man uns Anfangs absolut nicht Einlass in dieselbe gewähren. Zwei junge Leute, der Chemiker Schellander und der Magazineur Anton Hill eilten uns beim Eingang entgegen und sagten, dass Niemand der Eintritt erlaubt sei. Der Herr Direktor habe ihnen strengstens untersagt, eine menschliche Seele in die Fabrik einzulassen. Das war verdächtig. Wir mussten annehmen, dass man dortselbst ein sehr schlechtes Gewissen habe und aller Grund vorhanden sei, die Öffentlichkeit zu scheuen. Wir frugen nach dem Direktor Ballabene, es hieß, dass er nicht zugegen sei, obgleich man uns an kompetenter Stelle versicherte, dass er sich an der Fabrik befinde. Warum sich der Direktor versteckte, ist uns unbekannt. Auch der Eigentümer der Fabrik, Herr Schüdherr, ließ sich verleugnen, und es hieß, dass er in Wien sei, obgleich er vor dreiviertel Stunden mittelst Bahn eingetroffen war und sich direkt nach der Fabrik begeben hatte. Wir entfernten uns bereits, als man uns den Herrn Chemiker nachsendete und uns den Einlass in die zerstörte Fabrik gewährte. Anfang hieß es, dass bloß das Apparatehaus beschädigt sei und dass man ungehindert den Betrieb der Fabrik fortsetzen könne, wir hatten uns aber nur zu bald davon überzeugt, dass nicht allein das Apparatehaus, sondern die ganze Fabrik durch die Katastrophe zerstört, und dass von einer Arbeitfortsetzung gar keine Rede war. Nachdem wir uns über diese Lüge hinweggesetzt hatten, betraten wir die Fabrik und besichtigten den Platz der Verheerungen.

Das Betreten und die Besichtigung des Schauplatzes der Katastrophe war nicht ohne Gefahr verbunden, wohin man trat, strömten aus dem Boden giftige Gase von Säuren, welche sogar das Leder der Fußbekleidung vernichteten, wärend von allen Seiten der heftige Sturm Mörtel und Holzspäne von den zerstörten Gebäuden einher trieb und man jeden Moment einer neuerlichen Explosion gewärtig sein musste. Wir konnten uns nicht genug wundern, wieso es seitens der Regierung gestattet werden konnte, dass man die Fabrik auf einem so kleinen Raum aufbaute. Die einzelnen Gebäude sind kaum 20 Schritte voneinander entfernt. Das Apparatehaus befindet sich inmitten der einzelnen Arbeitsstätten, des Laboratoriums zweier Schuppen und eines unterirdischen Raumes, wo sich viele tausende von fertigen Meganit Patronen befinden. Im Apparatehaus wurde mit Nitroglyzerin experimentiert und hier war es auch, wo die Explosion entstand. Das Apparatehaus ist von einem zirka 3 Meter hohen Erdwall umgeben. Desgleichen die ringsherum liegenden hölzernen Arbeitsstätten, in welchen sich mehr als 70 Arbeiterinnen befinden. Nur zwei Arbeiter waren es, welche hier im Apparatehaus mit Nitroglyzerin zu tun hatten. Ihre Arbeit ist womöglich noch lebensgefährlicher als jene der Patronenfüllerinnen. Der tief im Erdgeschoß stehende Arbeiter bemerkte plötzlich, dass sich das Nitroglyzerin zersetze und sich die höchst gefährlichen roten Dämpfe entwickelten. Er gab sofort dem ober ihm stehenden Vorarbeiter hievon ein Zeichen, der sofort die Notklingel ertönen ließ, worauf beide in möglichster Eile das Apparatehaus verließen. Das Notsignal pflanzte sich von Hütte zu Hütte fort, alle Arbeiter und Arbeiterinnen stürzten ins Freie, bis auf ein junges Mädchen, welches vor Schreck in einer Hütte ohnmächtig zu Boden fiel. Im Freien angelangt, begann die wilde Flucht. Alle rannten nach der dicht um die Fabrik gezogenen manneshohen Einfriedung. Nur mit schwerster Mühe und Lebensgefahr vermochten die Arbeiter das Drahtgitter zu erklettern und aufs offene Feld zu flüchten. Die jungen Mädchen verrenkten sich fast Hände und Füße und schrien herzerschütternd. Wenige Augenblicke später flog das große Apparatehaus mit einer fürchterlichen Detonation in die Luft.

Der Anblick des zerstörten Gebäudes war grauenhaft. Blos die zweite Reihe der Arbeitshütten blieb verschont und auch das nicht ganz, denn auch in ihnen löst sich in Folge des Luftdrucks der Mörtel von den Wänden. An 14 Hütten sind, trotzdem sie ein fast drei Meter hoher Erdwall schütze, zerstört. Fenster und Türen sind vollständig zertrümmert. Ferner erlitten zwei große Magazine und das gegenüberliegende geräumige Laboratorium derartigen Schaden, dass sie vollständig unbrauchbar geworden sind.

Die Aufregung unter dem Arbeitspersonal war unbeschreiblich. Die Erbitterung der nahen Dorfbewohner machte sich in lauten Flüchen und Verwünschungen Luft. Ein Doktorand und ein Regimentsarzt waren sofort an Ort und Stelle, um Hilfe zu leisten. Das ohnmächtige Mädchen wurde nach Hause gebracht, wo es noch ziemlich lange besinnungslos lag. Ein weiterer Unfall ist zum Glück nicht zu beklagen. Die Katastrophe hätte jedoch entsetzlicher sein können, falls der elektrische Notsignal Apparat versagt und die Bediensteten nicht Zeit zum Flüchten gehabt hätten. Alle 70 Menschen wären unfehlbar verloren gewesen.  

Wie wir hörten, sollen 400 Kilo Nitroglyzerin teils verbrannt, teils explodiert sein. Der dortige Chemiker behauptet, dass blos 50 Kilo hievon explodierten, denn wären alle 400 Kilo explodiert so würde die Ortschaft Zurndorf jetzt nicht mehr existieren.   

An den Fenstern der einzelnen Arbeitshütten und des Laboratoriums sahen wir jene dringend nötigen Schutzgitter nicht. Der eingefriedete Raum ist zu klein und hierdurch sind die armen Arbeiter wie in einem Käfig eingesperrt und jeden Augenblick ihres Todes gewärtig. Die einzelnen Fabriksgebäude sind absolut zu nahe aneinandergedrängt. Von den vielen nötigen Schutzvorkehrungen sahen wir leider nicht eine. Wie wir hören, hätte durch einen einzigen Griff eines Sachverständigen das Unglück verhütet werden können, indem ein Apparat vorhanden war, durch welchen man das in Brand geratene Nitroglyzerin unter Wasser hätte setzen können. Leider war im kritischen Moment Niemand zugegen, als jene beiden Arbeiter.

Die Szenen, welche sich während der Flucht der Bediensteten abspielten, werden herzerschütternd geschildert. Als wir Zurndorf verließen, war es bereits 9 Uhr abends und noch immer hatte sich die Aufregung in der Bevölkerung nicht gelegt, umso mehr, als die Meganit Fabrik Gesellschaft und der Fabrikdirektor Herr Ballabene von Anfang an sich befleißigt hatten, so unpopulär als möglich zu werden. Mit Ausnahme einiger „Mächtigen“ lebt die Gesellschaft dortselbst mit Jedermann in Fehde.

Jüngst erst wurde ein sehr angesehener Insasse wegen eines nichtigen Grundes im Auftrage des Direktors verhaftet und 5 Tage lang in Untersuchungshaft belassen. Der Ärmste frug nämlich einen Fabriksarbeiter, wohin eigentlich das Meganit geliefert wird und wurde hierfür wegen „Geschäftsstörung“ verhaftet. Natürlich musste man ihn später wieder wegen Grundlosigkeit seiner Verhaftung freilassen. Nebenbei bemerkt sei, dass die Gesellschaft wegen Patent Diebstahl in einem sehr unschönen Prozess verwickelt ist. Mit einem Wort, es wäre ernsteste Pflicht der Regierung, dem ungenierten, lebensgefährlichen Treiben in Zurndorf ein Ende zu bereiten oder Strengstens darauf zu sehen, damit alle gesetzlichen Vorschriften strickte befolgt werden und die Lotterwirtschaft und das nie heilbringende Sparsystem bei derlei Fabriken ein Ende nehme. Solche Fabriken können nur existieren, wenn die  erforderlichen Kapitalien vorhanden sind, um allen gesetzlichen Sicherheitserfordernissen in denkbar größtem Maßstabe Genüge leisten zu können, im entgegengesetzten Fall sind es eben nur Menschenfallen unter gesetzlichem Schutze, denen früher oder später arme, bedauernswürdige Arbeiterleben zum Opfer fallen.  

Die vernichtete Zurndorfer Meganit Fabrik wird kaum vor 6 Wochen wieder ihre Arbeitstätigkeit aufnehmen können, wenn überhaupt die Regierung dies unter den obwaltenden primitiven Verhältnissen gestattet. 

Quelle: Westungarischer Grenzbote, Samstag 1. September 1888

Eine entsetzliche Katastrophe in der Zurndorfer Meganit Fabrik

13.12.1890

Die Leser werden sich noch an die schreckliche Explosion in der Zurndorfer Dynamit respektive Meganit Fabrik des Wiener Industriellen Schückher erinnern, abermals hat nun in dieser Fabrik eine Katastrophe stattgefunden, der mehrere Menschenleben zum Opfer fielen. Wir hatten seinerzeit über die mangelhafte Einrichtung und über den dort herrschenden Schlendrian berichtet und die Regierung aufmerksam gemacht, dass es in der Weise nicht mehr fortgehen kann und energische Maßnahmen getroffen werden müssen. Es wurden auch Ministerrial Kommissare entsendet, welche eine strenge Untersuchung vornahmen und solange den Betrieb in der Fabrik gesperrt haben, bis nicht wenigstens den dringendsten gesetzlichen Anforderungen entsprochen war. Damals erweiterte man die Fabrik und machte verschiedene Zubauten, doch scheint dort noch immer nicht mit jener gewissenhaften, strengen Vorsicht gearbeitet zu werden, denn sonst hätte sich nicht abermals ein solches Unglück ereignen können.

Wie man uns nämlich berichtete, ist am 11. Dezember 1890, nachmittags um 2 Uhr, die Patronenfüllhütte Nr. 11, in welcher sich drei Arbeiterinnen befanden, in die Luft geflogen und wurden die unglücklichen Opfer buchstäblich in Fetzen gerissen, so, dass man ihre Körperteile zwanzig Schritte von der Unglücksstätte entfernt, vom Boden auflesen und zusammenklauben musste. Eine der durch die Explosion getöteten Arbeiterin war eine Witwe aus Preßburg, welche einen 7 Jahre alten Knaben nun als elternlose, gänzlich verlassenen Waisen zurücklässt. Die beiden anderen getöteten Arbeiterinnen sind nach Nickelsdorf zuständig und heißen Netti Tiwolt und Maria Zech.

Wie verlautet, hatten die Arbeiterinnen ein riesiges Quantum Meganit vor sich zur Verarbeitung liegen und überdies sehr viele bereits fertige Patronen. Während der Arbeit explodierte der gefährliche Sprengstoff, zertrümmerte die Hütte und zerfetzte die beklagenswerten Geschöpfe, welche um kargen Arbeitslohn gezwungen sind, ihr Leben solcher Gefahr preiszugeben.

Aber die Explosion hat auch noch andere als diese drei Opfer gefordert, in dem durch den Lustdruck und die fürchterliche Erschütterung in den beiden neben befindlichen Hütten beträchtlicher Schaden angerichtet worden ist und die darin arbeitenden Mädchen durch die zertrümmerten Fensterscheiben, Splitter der geborstenen Tür und Seitenwände der Hütte so schwere Verletzungen erlitten, dass an ihrem Aufkommen gezweifelt wird. Diese schwerverletzen Arbeiterinnen heißen Elisabeth Frindl, Susanne Kellmann und Elise Heidowitsch.Der Anblick der Unglückstätte soll ein grauenhafter gewesen sein, ins besonders die zerfleischten Körper der Toten. Ringsherum lagen die Trümmer der zersprengten Hütte. Das Jammern der Schwerverletzten war Herzerschütternd, umso mehr, als momentan keine ärztliche Hilfe zur Hand war und sie ziemlich lange warten mussten, bis man ihnen Verbände anlegen konnte.

Die Nachricht über die Explosion hatte sich rasch in der Umgebung der Fabrik verbreitet und besonders in Zurndorf und Nickelsdorf unter der Bewohnerschaft Schrecken, Aufregung und Erbitterung gegen die Fabrik hervorgerufen. Dieser neueste Unglücksfall beweist abermals, wie große Aufmerksamkeit man seitens der Behörde auf solche Fabriken verwenden und mit welch unnachsichtiger Strenge selbst im Kleinstem eingegriffen werden muss.

 Quelle: Westungarischer Grenzbote, Samstag 13.12.1890

Ewald Metzl, 05.11.2020