Geschichte der Zurndorfer Kanonen

von Werner

Man schrieb das Jahr 1683. Die Türken waren wieder im Anmarsch nach Wien. Die Schreckenskunde verbreitete sich in Windeseile.

Zwar marschierte die Hauptschar noch tief im Südosten -irgendwo bei Belgrad-, doch waren bereits einzelne Reiterschwärme entlang der Leitha bis zu den Schüttinseln herauf vorgestoßen, plündernd und sengend, wie das ihre Art war. Die Dörfer, durch die sie gezogen waren, brannten lichterloh. Der Feuerschein färbte den Himmel glutrot und warnte die vorausliegenden Dörfer. Alle Glocken in der Umgebung läuteten und schickten ihren mahnenden Ruf voraus: „Rettet euch! Rettet euch!


Auch die Zurndorfer hatten den lodernden Feuerschein gesehen und den unheilkündigen Ruf der Glocken gehört. Angst und Schrecken erfüllten ihre Herzen. Auch das Not Glöcklein von Zurndorf schrie grellen um Hilfe. Doch wer sollte den Zurndorfern zu Hilfe kommen? Jeder musste sich selbst helfen.


Die Frauen und Kinder schütteten in aller Eile hohe Erdwälle rings um das Dorf und befestigten sie mit Palisaden und Verhauen, während die Männer Spieße, Äxte, Schwerter und Sensen schärften. Der Zimmermann des Dorfes hielt allerdings nicht viel von diesen Vorbereitungen. Dadurch könnten sie Zurndorf nicht vor dem schrecklichen Schicksal der bereits schwer heimgesuchten Nachbardörfer bewahren. Er hatte einen besseren Einfall. Als er vor Jahren bei den kaiserlichen Truppen, und zwar bei der Artillerie, gedient hatte, war er immer sehr erstaunt gewesen, welch abschreckende Wirkung der bloße Anblick von Kanonen auf den angreifenden Feind ausübte. Darum rief er aus: „Wir brauchen Kanonen, um den Feind zu erschrecken!“ Er wusste so überzeugend zu reden, dass sich die Zurndorfer Gemeindeväter schnell mit der Kriegslist des Zimmermannes einverstanden erklärten. Alle halfen mit, und in aller Eile wurden nach den Angaben des Zimmermannes über zwanzig Kanonen aus Holzstämmen und alten Wagenrädern gebaut. Diese falschen Geschütze stellten sie nun auf den Wällen gut sichtbar auf. Zu beiden Seiten jeder Holzkanone wurden auch noch rasch geflochtene Schanzkörbe [hoher, aus Weidenruten geflochtener Korb, als Deckung dienender mit Erde gefüllter Schanzkorb] angelehnt. Und der pfiffige Zimmermann sollte recht behalten. Oft und oft sprengten mordgierige Reiterschwärme heran. Sobald sie aber die Vielen Kanonenrohre -dahinter die Feuerwerker mit brennenden Lunten-, auf sich gerichtet sahen, schwenkten sie ab, um anderswo auf leichtere Art Beute zu holen.


So konnte sich Zurndorf durch die List des Zimmermannes so lange halten, bis die kaiserlichen Truppen heranrückten und die Türken nach Osten zurückdrängten. Die Geschichte von der Kriegslist des Zurndorfer Zimmermannes wurde schnell überall bekannt. Sie machte die fröhliche Runde um alle Lagerfeuer des kaiserlichen Heeres, das den fliehenden Feinden der Christenheit nachdrängte. Am glücklichsten waren wohl die Zurndorfer selbst, die ihren klugen Zimmermann mit Lob überschütteten und lange feierten. Die hölzernen Kanonen aber, die so guten Dienst geleistet hatten, wurden immer in Ehren gehalten, bis sie im Moder zerfielen. Die Erinnerung an Jene schreckliche Zeit und an die Zurndorfer Kanonen aber lebt bis heute im Volke weiter.

Quelle: Aus dem Buch Mein Heimatbezirk Neusiedl am See (Seite 51)
Zur Verfügung gestellt von Ewald Metzl am 17.August 2020